Newsletterarchiv
Thomé Newsletter 33/2025 vom 19.10.2025
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
mein heutiger Newsletter behandelt folgende Themen:
1.) Zu den geplanten SGB-II-Änderungen
Medial sickern immer weitere Details zu den geplanten Änderungen im SGB II durch. Die erste Version des Referentenentwurfs wurde noch vor der Ressortabstimmung durchgestochen, sodass zunehmend deutlich wird, welche Maßnahmen die Bundesregierung plant.
Die derzeit beste Zusammenfassung findet sich in einem Artikel des Merkur.de vom 19.10.:
👉 https://t1p.de/13rxv
Geplant ist unter anderem die vollständige (100 %) Streichung der SGB-II-Leistungen bei wiederholten Meldeversäumnissen sowie bei Ablehnung von Arbeitsangeboten. Das bedeutet: keine Regelleistung, keine Mietkostenübernahme, keine Krankenversicherung.
Lebensmittelgutscheine sind nicht vorgesehen – stattdessen soll es behördliche Hausbesuche geben.
Der neue Ansatz lautet also nicht mehr „Sanktion“, sondern Leistungsversagung bei fehlender Mitwirkung, verbunden mit der Annahme, wer nicht mitwirke, sei offensichtlich nicht hilfebedürftig. Dieselbe Argumentation gilt bei Stellenablehnungen.
Diese Idee basiert auf einem Gutachten des ehemaligen BSG-Präsidenten Rainer Schlegel, das er für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) verfasst hat. Schlegel soll laut Süddeutscher Zeitung Carsten Linnemann beraten haben, der gemeinsam mit SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas die neuen Regelungen verhandelt.
Details (Paywall): https://t1p.de/v0a6q
Ohne Paywall (Welt): https://t1p.de/38fsw
Zu Herrn Schlegel hatte ich bereits in meinem Newsletter vom 03.03.2024 angemerkt: „Manchmal ist es gut, wenn Richter gehen.“
➡️ https://t1p.de/3bjhq
Konkrete Sanktionspläne
Bei Terminversäumnissen
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Nach zwei versäumten Terminen: 30 % Kürzung
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Nach drei Terminen: 100 % Kürzung
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Nach vier Terminen: kompletter Wegfall von Regelsatz, Unterkunftskosten und Krankenversicherung
Bei Pflichtverletzungen
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30 % Kürzung bereits beim ersten Verstoß
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Ablehnung eines Arbeitsangebots: kompletter Leistungsentzug der Regelleistung
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Wiederholte Ablehnungen: kompletter Wegfall von Regelsatz, Miete und Krankenversicherung
Bemerkung
Mit der „Vermutung des Wegfalls der Hilfebedürftigkeit“ wird versucht, das Sanktionsurteil des Bundesverfassungsgerichts zu umgehen. Die geplanten 100 %-Sanktionen dürften klar verfassungswidrig sein. Für eine endgültige Bewertung muss der Gesetzestext abgewartet werden – sicher ist jedoch, dass es zu harten Auseinandersetzungen kommen wird.
Bewertung
Das Sanktionsregime wird vor allem „schwierige“ bzw. gesundheitlich beeinträchtigte Menschen treffen – daran ändert auch kein Hausbesuch etwas. Entgegen der Beschönigungen von Herrn Merz wird dies unweigerlich zu mehr Obdachlosigkeit führen.
Zudem werden Vermieter künftig noch seltener an SGB-II-Beziehende vermieten, da sie befürchten müssen, dass das Amt aufgrund von Sanktionen keine Miete mehr zahlt.
Es sollte jetzt schon überlegt werden, solidarische Beistandsstrukturen (z. B. durch Wohlfahrtsverbände oder „Die Linke hilft“) bundesweit aufzubauen, um Menschen mit Behördenängsten zu unterstützen.
Die Union – mit Zustimmung der SPD – führt mit diesem Gesetz ein härteres Sanktionsregime als unter Hartz IV ein. Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts sollen mit juristischen Tricks umgangen werden. Damit wird eine „unwürdige Existenz“ geschaffen.
BVerfG, Urt. v. 05.11.2019 – 1 BvL 7/16:
„Das menschenwürdige Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG) darf nicht gekürzt werden. Die Menschenwürde steht allen zu – und geht auch durch vermeintlich ‘unwürdiges’ Verhalten nicht verloren.“
Es ist zu hoffen, dass sich Parteien, Verbände und Initiativen gegen diese geplanten Regelungen stellen. Denn sie bedeuten nichts weniger als eine Demontage des Sozialstaats mit der Brechstange – zur weiteren Ausweitung des Niedriglohnsektors und prekärer Beschäftigung.
2.) Bürgergeld unter Generalverdacht – EU-Bürger*innen als Zielscheibe von Populismus und Medien
Die derzeitige Hetze gegen armutsbetroffene EU-Bürger*innen ist unerträglich.
Auf Initiative von Armut und Gesundheit in Deutschland e. V., Medinetz Mainz, Medinetz Koblenz, der Clearingstelle Krankenversicherung Rheinland-Pfalz und des Initiativausschusses für Migrationspolitik haben über 60 Organisationen und Einzelpersonen einen Aufruf veröffentlicht:
👉 https://t1p.de/dbdz3
Aus dem Aufruf:
Wir fordern Medienhäuser auf, ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht nachzukommen und differenziert zu berichten. Bilder und Sprache prägen gesellschaftliche Haltung. Tragen Sie nicht dazu bei, Armutsbetroffene zu entmenschlichen.
Armut, unsichere Beschäftigung und Ausgrenzung sind keine Vergehen, sondern Folgen politischer Entscheidungen. Demokratie, Sozialstaat und gesellschaftlicher Zusammenhalt müssen geschützt werden – nicht durch Kriminalisierung, sondern durch faktenbasierte und verantwortungsvolle Berichterstattung.
3.) Sozialstaat gemessen am BIP nicht teurer als 2015
Die Union behauptet in Vorbereitung auf Sozialkürzungen, der Sozialstaat „explodiere“ und sei nicht mehr finanzierbar.
Das Statistische Bundesamt stellt jedoch klar: Gemessen an der Wirtschaftskraft sind die Sozialausgaben des Bundes nicht gewachsen.
➡️ Näheres in der Tagesschau: https://t1p.de/dtwnm
4.) Bürgergeld im Realitätstest – materielle Entbehrung und wachsende Armutslücke
Eine aktuelle Studie des Paritätischen Gesamtverbands zeigt: Das Bürgergeld schützt nicht vor Armut und verfehlt die UN- und EU-Vorgaben (SDGs, Empfehlung zur Mindestsicherung).
Es sichert das nackte Überleben, aber nicht soziale Teilhabe und kein würdiges Leben.
Erschreckende Befunde
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Fast jede*r Fünfte besitzt kein zweites Paar Schuhe
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Jede*r Dritte kann sich keine vollwertige Mahlzeit jeden zweiten Tag leisten
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Über die Hälfte kann kaputte Möbel nicht ersetzen
Dies geschieht trotz Tafeln und Sozialkaufhäusern – während gleichzeitig verschärfte Sanktionen geplant werden.
➡️ Weitere Infos: https://t1p.de/pa0hp
5.) Gesellschaft für Freiheitsrechte – Individualbeschwerde gegen den Leistungsausschluss von Dublin-Flüchtlingen
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat erstmals aus Deutschland eine Individualbeschwerde beim UN-Sozialausschuss eingereicht – gegen den Leistungsausschluss von Dublin-Flüchtlingen. Gefordert werden einstweilige Maßnahmen und die Abschaffung dieses Ausschlusses, der gegen die sozialen Menschenrechte des UN-Sozialpakts verstößt.
➡️ Mehr: https://freiheitsrechte.org/existenzielle-not
➡️ Grundlageninfos: https://t1p.de/0tvet
6.) Leistungsausschluss in Dublin-Fällen rechtlich und tatsächlich unanwendbar
Die GGUA berichtet: Das Flüchtlingsministerium (MFFKI Rheinland-Pfalz) hat einen aktualisierten Erlass zu den Leistungsausschlüssen in Dublin- und Anerkannten-Fällen (§ 1 Abs. 4 Nr. 1 und 2 AsylbLG) herausgegeben.
Rheinland-Pfalz ist derzeit das einzige Bundesland, das seine Sozialbehörden ausdrücklich auffordert, bei Entscheidungen Verfassung und EU-Recht (Aufnahmerichtlinie) zu beachten.
Ergebnis: Ein vollständiger Leistungsausschluss ist stets unzulässig, selbst eine Kürzung nicht mit EU-Recht vereinbar.
➡️ Mehr: https://t1p.de/iwjjt
7.) Schockierende Dunkelziffer – bis zu 800.000 Menschen ohne Krankenversicherung
Nach Expertenschätzungen leben in Deutschland bis zu 800.000 Menschen ohne Krankenversicherung.
„Man geht von einer sehr hohen Dunkelziffer aus“, sagte Sophie Pauligk, Vorständin des Bundesverbands Anonymer Behandlungsschein und Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherung, der KNA.
Bemerkung:
Auch aus unserer Beratungspraxis kennen wir viele Fälle: Menschen ohne Krankenversicherung, mit hohen Krankenkassenschulden (teils fünfstellig), mit ruhender Versicherung oder privater Krankenversicherung in Armut.
All diese Situationen sind massive Probleme. Es braucht dringend eine Regelung zum Schuldenschnitt und eine Rückkehrmöglichkeit von der PKV in die GKV.
Fortbildungen & Seminare
8.) SGB II – Grundlagenseminare / Update zum Bürgergeld
Zweitägiges Online-Seminar mit Überblick über das SGB II und Schwerpunkt Leistungsrecht. Enthalten sind alle Änderungen durch das Bürgergeldgesetz sowie aktuelle Rechtsprechung.
Termine:
• 29./30. Oktober 2025
• 17./18. November 2025
• 01./02. Dezember 2025
• 12./13. Januar 2026
👉 Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/chgq
9.) Basiswissen Sozialberatung – Werkzeuge aus und für die Praxis
Zweitägiges Online-Seminar zum Handwerkszeug der Sozialberatung: Aufbau der Sozialgesetzbücher, Antragstellung, Mitwirkungspflichten, Beschleunigung, Bescheide, Widerspruch, Überprüfung u. v. m.
Termine:
• 24./25. November 2025
• 08./09. Dezember 2025
• 21./22. Januar 2026
👉 Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/hdlq
10.) SGB II – Berechnungsseminar: Bescheide prüfen und verstehen
Zweitägiges Seminar zu Bedarfsermittlung, Einkommensanrechnung und Bescheidprüfung. In Kleingruppen wird gerechnet, analysiert und vertieft.
Termine:
• 03./04. November 2025
• 16./17. Dezember 2025
• 23./24. Februar 2026
👉 Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/pv2v2
11.) SGB II – Intensivseminar (5 Tage) / Intensiv-Update zum Bürgergeld & zur neuen Grundsicherung
Fünftägiges Online-Seminar mit umfassender und praxisnaher Vertiefung des SGB-II-Leistungsrechts. Gesetzesvorschriften, Praxisprobleme und aktuelle Entwicklungen werden detailliert erarbeitet.
Termine:
• 18.–22. Mai 2026
• 14.–18. September 2026
👉 Ausschreibung & Anmeldung: https://t1p.de/j6vu
Hinweis: Fünf Tage klingen lang – die Zeit vergeht schnell und bietet maximalen Input. Trotz Online-Format: intensiv, interaktiv und lebendig!
12.) SGB-II-Leistungen für Schüler, Auszubildende und Studierende
Überblick über Sozialleistungen neben BAföG, BAB, Ausbildungsvergütung, Aufstockungsmöglichkeiten, Härtefälle, Einkommensanrechnung sowie besondere Fragen internationaler Studierender.
Termine:
• 27. November 2025
• 22. Dezember 2025
• 20. Februar 2026
• 23. März 2026
👉 Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/x47z1
13.) SGB-II-Seminar: Sozialrechtliche Ansprüche für Schwangere, Alleinerziehende und Familien
Eintägiges Online-Seminar mit Überblick über die relevanten Leistungsansprüche nach dem SGB II / Bürgergeld.
Termine:
• 19. November 2025
• 20. Januar 2026
• 24. März 2026
👉 Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/u67n
14.) SGB II in der Arbeit mit wohnungs- und obdachlosen Menschen
Eintägiges Online-Seminar zu Leistungsansprüchen, Durchsetzung gegenüber Behörden und Wahrung der Menschenwürde.
Termine:
• 18. Dezember 2025
• 20. Januar 2026
• 19. Februar 2026
👉 Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/xily
15.) SGB II für die Migrationsberatung
Eintägiges Online-Seminar zu Problemen im Umgang mit Jobcentern bei Geflüchteten und in der Migrationsberatung.
Termine:
• 15. Dezember 2025
• 19. Januar 2026
• 25. Februar 2026
👉 Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/85hu
16.) Wichtiges und Neues aus dem SGB II für Frauenhäuser
Eintägiges Online-Seminar mit systematischem Überblick über relevante SGB-II-Fragen für Frauenhäuser und begleitende Dienste.
Termine:
• 28. November 2025
• 26. Februar 2026
• 11. April 2026
👉 Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/qme5
17.) Grundlagenseminar Sozialhilfe (SGB XII) (Kollege Frank Jäger)
Zweitägiges Online-Seminar mit Komplettüberblick über Anspruchsvoraussetzungen und Leistungen nach dem SGB XII, Berücksichtigung von Einkommen/Vermögen, Unterhaltsrückgriff sowie Schnittstellen.
Termine:
• 17./18. Nov. 2025 👉 t1p.de/83hs0
• 16./17. Feb. 2026 👉 https://frank-jaeger-seminare.de/termin/grundlagen-der-sozialhilfe11/
18) Fachseminar: Kosten der Unterkunft und Heizung nach SGB II und SGB XII (Frank Jäger)
Tagesseminar zu Unterkunft, Heizung, Umzugskosten, Mietschulden, Energiekosten – mit aktueller Rechtsprechung und Gesetzeslage.
Termine:
• 14. Okt. 2025 👉 t1p.de/x7f23
• 02. Feb. 2026 👉 https://frank-jaeger-seminare.de/termin/unterkunftskosten07/
19.) Fachseminar: Bürgergeld (Grundsicherung) oder Sozialhilfe? – Schnittstellen, Unterschiede, „Verschiebebahnhof“ (Frank Jäger)
Eintägige Fortbildung zu Anspruchsvoraussetzungen, Abgrenzung und Harmonisierung von SGB II und SGB XII; Besonderheiten bei Einkommen/Vermögen, Leistungsarten und Verfahrensrecht.
Termine:
• 03. Dez. 2025 👉 t1p.de/elnvt
• 09. März 2026 👉 https://frank-jaeger-seminare.de/termin/grundsicherung-fuer-arbeitssuchende-oder-sozialhilfe04/
So, das war es dann für heute.
Mit besten und kollegialen Grüßen
Harald Thomé